Artikel über das Sprachenproblem im Bildungswesen

 

Kommentar von Dr. Karl-Heinz Krämer (März, 2022)

 

Einbeziehung in den Unterricht, Einbeziehung in das Lernen


Ich habe Marissa Taylors Artikel über das Sprachenproblem im Bildungswesen in The Record ("Linguistically limited", 10. März 2022) mit großem Interesse gelesen. Wie alle ihre Artikel ist er hervorragend geschrieben und spiegelt meine eigenen Beobachtungen wider.


Ich bin Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Nepal, habe mich aber auch intensiv mit dem Problem der Inklusion aus ethnischer Sicht beschäftigt. Das hängt damit zusammen, dass ich seit fast 50 Jahren mit einer Sherpa-Frau aus einem kleinen Dorf in Solukhumbu verheiratet bin und die Probleme der Schulbildung dort hautnah miterlebt habe.

 

Als ich Mitte der 1970er Jahre zum ersten Mal in das Heimatdorf meiner Frau kam, hatte das kleine Gebäude, das sich Schule nannte, diesen Namen nicht wirklich verdient. Es gab keine Türen und keine Fenster, drei Holzbänke und zwei Holzpulte, ansonsten keinerlei Ausstattung. Die drei Lehrer hatten die Wellblechplatten des Daches abgenommen und zu einer provisorischen Wohnung umfunktioniert, in der sie in wirklich ärmlichen Verhältnissen lebten.


Auch die Ausbildung dieser Lehrer ließ sehr zu wünschen übrig. Sie erzählten uns, dass sie nach ihrem SLC nur wenige Wochen auf ihre Aufgabe vorbereitet und dann nach Solukhumbu geschickt wurden, weit weg von ihren eigenen Familien. Ethnisch gesehen waren sie Bahun, Chhetri und Newa, was bedeutete, dass keiner von ihnen mit der Sherpa-Sprache vertraut war. Das Dorf war jedoch ein reines Sherpa-Dorf. In allen Familien wurde fast ausschließlich die Sherpa-Sprache gesprochen. Erschwerend kam hinzu, dass die Eltern und Großeltern der Schüler nur rudimentäres Nepali kannten, und das natürlich nicht als Schriftsprache. So hatten die Lehrer große Probleme, die Kinder zu unterrichten, die zudem sehr unregelmäßig am Unterricht teilnahmen.


All dies hat sich enorm verändert. Seit den 1990er Jahren wurde die Infrastruktur der Schule erheblich verbessert. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass eine französische NRO, Nepal et vous, dort und in anderen umliegenden Dörfern stabile Schulgebäude gebaut und deren Ausstattung erheblich verbessert hat. Auch die Lehrer sind seit einiger Zeit besser ausgebildet und bleiben länger im Dorf, zuletzt mehr als 15 Jahre. Die ethnische Zugehörigkeit der Lehrer ist jedoch gleichgeblieben; sie sind immer noch überwiegend Bahun und Chhetri. Anders als vor 20 oder 30 Jahren bemühen sich diese Lehrer aber auch, sich Grundkenntnisse der Sherpa-Sprache anzueignen. Letzteres ist vielleicht nicht mehr so dringend nötig, weil alle Dorfbewohner inzwischen umgangssprachliches Nepali sprechen. Der Elterngeneration fehlt es jedoch noch an der Fähigkeit, lesen und schreiben zu können. Das wurde uns bewusst, als wir nach den Erdbeben von 2015, durch die gut 10 Prozent der Häuser im Dorf unbewohnbar wurden, mit Hilfe deutscher NRO und Freunde eine kleine Nothilfe für die betroffenen Familien leisten konnten. Etwa ein Viertel der Empfänger war nicht in der Lage, eine Quittung zu unterschreiben.


Im Bereich der Bildung hat jedoch eine Revolution stattgefunden. Heute werden alle Kinder beiderlei Geschlechts regelmäßig in die Schule geschickt. Dies ist wahrscheinlich auch darauf zurückzuführen, dass die Elterngeneration den Wert und die Notwendigkeit von Bildung erkannt hat. Inzwischen ist der Schulleiter zum ersten Mal ein Sherpa. Der Rückgang der Schülerzahlen ist jedoch gravierend. Da die Familien nur noch höchstens zwei oder drei Kinder haben und nicht mehr wie vor 40 Jahren 10 oder mehr, besuchen heute nur noch etwa 15 Kinder die kleine Dorfschule. In der Vergangenheit waren es immer 45-50 Kinder, wenn wir das Dorf besuchten. Deshalb hat die Schule entsprechend dem alten System nur fünf Klassen. Danach müssen die Schüler zur weiterführenden Schule in einem Dorf am gegenüberliegenden Berghang gehen, was zwar ein weiter Weg ist, aber das Interesse der Kinder am Schulbesuch nicht schmälert.


Das Sprachproblem, das Marissa Taylor am Beispiel von Nisha Khatri beschreibt, ist in vielen Teilen des Landes ein alltägliches Problem. Es betrifft alle Kinder aus Bevölkerungsgruppen mit einer anderen Muttersprache als Nepali, und es setzt sich fort, wenn sich diese Kinder später beruflich orientieren wollen. Von Beginn ihrer Schulzeit an sind sie gegenüber Kindern aus Gruppen, die Nepali als Muttersprache sprechen und von zu Hause einen gehobenen Sprachgebrauch gewohnt sind, massiv benachteiligt. Nur in seltenen Fällen gelingt es ihnen, diesen Nachteil irgendwann auszugleichen. Ich denke, dass dies neben der Vetternwirtschaft in Politik und Verwaltung eine große Rolle dabei spielt, dass bessere Jobs hauptsächlich an Bahuns und Chhetris gehen.


In diesem Zusammenhang halte ich es daher für dringend notwendig, dass alle Schulkinder in Nepal verpflichtet werden, neben Nepali eine weitere Landessprache zu lernen. Dies sollte vielleicht nicht der Weg sein, den die Metropole Kathmandu geht. Angesichts der großen Binnenmigration im Land ist Kathmandu ein Schmelztiegel fast aller Sprachen und Kulturen des Landes. Kinder aus ethnischen Gruppen (mit Ausnahme von Newa-Kindern) oder aus dem Tarai sind nun gezwungen, mit der obligatorischen Nepal Bhasa-Vorschrift der Stadt eine dritte Sprache zu lernen. Es wäre besser, wenn alle Schulkinder des Landes zwei Landessprachen lernen müssten, von denen eine Nepali wäre und die andere frei gewählt werden könnte. Ich bin mir des Verwaltungsaufwands für die Schulen bewusst, aber ich denke, dass dies zu einer größeren Chancengleichheit und einer besseren Integration der künftigen Generationen beitragen würde.


Ein weiterer Aspekt, der in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnt werden sollte und den ich seit meinem Engagement in Nepal vermisse, ist die integrative Gestaltung von Lehrplänen. Wenn der nationale Zusammenhalt Nepals gefördert werden soll, dann ist es von größter Bedeutung, dass den Kindern nicht vorgegaukelt wird, dass sich die nepalesische Identität ausschließlich am Hinduismus, der nepalesischen Sprache und den Denk- und Handlungsweisen der männlichen Eliten aus Bahun- und Chhetri-Kreisen zu orientieren hat. Es ist wichtig, dass die Schulkinder ein besseres Verständnis für die verschiedenen Gruppen ihres multiethnischen und multikulturellen Staates bekommen. Und dafür müssen einige Schulbücher enorm angepasst werden.


Zum Schluss vielleicht noch ein Beispiel, das beweist, dass auch im Medienbereich, dessen Entwicklung in den letzten Jahrzehnten ich als sehr positiv hervorheben möchte, ein großer Nachholbedarf besteht. Es fällt immer wieder auf, dass die Medien Schwierigkeiten haben, wenn es um die korrekte Schreibweise von Begriffen aus den tibetisch-birmanischen Sprachen Nepals geht. In den letzten Monaten haben zum Beispiel verschiedene Gruppen ihr Neujahrsfest gefeiert, das in ihrer Sprachfamilie Losar heißt. Selbst wenn Fotos gedruckt werden, die Banner zeigen, auf denen das Wort korrekt in Devanagari geschrieben ist, schreiben die Medien ziemlich hartnäckig "Lhosar". Aber 'Lo' bedeutet 'Jahr', während 'Lho' 'Süden' bedeutet.


Dies waren nur einige Gedanken, die mir beim Lesen des wirklich interessanten Artikels von Marissa Taylor kamen.

 

 

 

 

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